Weihnachtsgeschichte für Fußballer
Mit diesem Geschenk hatte niemand gerechnet.
Schließlich waren die Weihnachtsfeiern des 1.FC Sturm in den vergangenen Jahren alles andere als spannend und angenehm. Die direkt davor stattfindenden Begegnungen wurden allesamt verloren: 0-4, 0-5 und vor drei Jahren sogar mit 1-6. Der Trainer faltete seine weihnachtlichen Fußballer daraufhin sogar auf der Weihnachtsfeier zusammen, so dass von besinnlicher Atmosphäre schon am Anfang wenig zu spüren war. Da auch dieses Jahr das Spiel am Tag der Feier nicht gewonnen werden konnte – ein 0-0 gegen den Tabellenletzten verhinderte dies – erwarteten alle nicht viel von der diesjährigen Feier zum Weihnachtsfest.
Es war auch in den vergangenen Jahren Usus, dass der Vorstand einen Weihnachtsmann engagierte, der die Spieler einzeln aufrief und mit einem Geschenk beglückte. Mal waren dies Socken, die der Stürmer Michael seinem Abwehrchef Torsten schenkte. Ein anderes Mal schenkte der Torwart Julian dem Mittelfeldmotor Anton Marzipan. Dass die Figur darunter litt und Anton immer langsamer wurde, war die Konsequenz der ganzen Geschichte. So lief das Jahr für Jahr. Dieses Jahr aber ließen sich die Spielerfrauen etwas ganz Besonderes einfallen, indem sie an die geheimsten Wünsche von Freizeitfußballern dachten. Als der gekaufte Weihnachtsmann auch dieses Jahr wieder mit seinem weißen Bart, dem man sofort ansah, dass er nur angeklebt war, hereinkam, blickten alle mit derselben Miene in die weihnachtliche Runde, die wenig Aufregendes erwarten ließ. Auch dieses Jahr wechselten mit Marzipankartoffeln gefüllte Socken den Besitzer, erhielten die Mittelfeldspieler neue Stutzen und freute sich der Trainer dann doch einmal an diesem Tag über seinen schlauen Co-Trainer, der ihm ein neues Taktik-Buch schenkte. Ein Wink mit dem Zaunpfahl war das vielleicht.
Doch etwas war anders in diesem Jahr. Der Weihnachtsmann verschwand nicht wie gewöhnlich nach dem traditionellen Singen der Weihnachtslieder und des Vereinsliedes. Stattdessen setzte er sich in eine Ecke des Raumes und schien auf etwas zu warten. Auf was – das wusste niemand im Raum. Außer die Spielerfrauen, die heimlich im Abstellraum warteten und voller Vorfreude die glücklichen Gesichter ihrer im Fußballsport mehr oder weniger erfolgreichen Ehemänner und Freunde erwarteten.
Die Männer des 1.FC Sturm diskutierten lebhaft über die Hinserie der Saison, als Luis, der beste Stürmer, bemerkte, dass der Weihnachtsmann immer öfter in Richtung der Abstellkammer blickte und etwas zu erwarten schien. Es geschah nichts. Plötzlich aber erhob sich der in Rot gekleidete Geschenkeüberbringer und näherte sich der streitenden Mannschaft, die schon seit Jahren in der untersten Spielklasse in Bayern kickte. Mehr schlecht als recht. Nun waren die Freunde samt Trainerteam sehr überrascht, was das zu bedeuten hatte. Dies sollten sie gleich erfahren, denn plötzlich stieß Ramona, Luis‘ Freundin, die Tür der Abstellkammer auf, um mit allen anderen Spielerfrauen in den Raum zu stürzen. Keiner wusste wie ihm geschah. Der Weihnachtsmann aber blieb die Ruhe selbst, so, als hätte er dies schon mehrmals erlebt und eine Menge Erfahrung. Die Erfahrung von 67 Lebensjahren vielleicht?
Luis war es wieder, der als Erster erkannte, dass der Bart des Weihnachtsmannes zu verrutschen begann. Er war es auch, der meinte: „Der kommt mir bekannt vor!“. Alle anderen stimmten dieser Meinung zu und rissen dem Weihnachtsmann den Restbart aus dem Gesicht. So ein rabiates Vorgehen war Jupp Heynckes – der Trainer des FC Bayern München – sicher nicht gewohnt, wenn er wie jedes Jahr einer Amateurmannschaft einen weihnachtlichen Wunsch erfüllte. Besser gesagt den Wunsch der Spielerfrauen, die am Gewinnspiel des FC Bayern teilnahmen und tatsächlich gewannen.
Die Freude kannte keine Grenzen und die Verwunderung in den Gesichtern aller Spieler und Trainer wich nur langsam dem Erfassen der Situation. Jupp Heynckes hatte sich den gesamten Abend frei genommen, um ihn auf der Weihnachtsfeier des 1.FC Sturm aus Bayern zu verbringen. Dies war allerdings nicht die größte Überraschung, die an diesem Abend noch folgen sollte. Nicht die Autogramme, die Jupp Heynckes jedem, der danach fragte, geduldig gab, waren das Highlight. Nicht die gemeinsamen Fotos, die für die Ewigkeit mit dieser Weihnachtsfeier in Verbindung gebracht werden würden, waren das Salz in der Fußball-Suppe. Vielmehr hatten die Spielerfrauen den Trainer des FC Bayern so lange angebettelt, bis dieser eine Einladung für die komplette Mannschaft zu einem Bundesliga-Spiel in der Rückrunde aussprach. Die Gaststätte, in der die Feier dieses Jahr stattfand, schien nun auseinanderzubrechen, so laut wurde gejubelt, so intensiv wurde getanzt. Wenn die Mannschaft so aktiv auf dem Spielfeld gewesen wäre, dann hätte die Stimmung schon von Anfang an so gut sein können.
Der Abend und die Nacht wurden also noch zusammen verbracht. Niemand verließ die Weihnachtsfeier schon um 22 Uhr, so wie es in den vergangenen Jahren in aller Regelmäßigkeit geschah. Der Letzte – natürlich war das der Trainer – verließ die Gaststätte, die extra für diesen Weihnachtsabend gemietet worden war, gegen 3 Uhr morgens. Jupp Heynckes war da schon 3 Stunden weg, doch die glücklichen Momente, die die Mannschaft mit ihm erleben durfte, wirkten noch immer nach. An diesem Abend, am nächsten Tag, ja wahrscheinlich für immer waren aber die Spielerfrauen die größten Sieger, denn sie nahmen sich den Sinn von Weihnachten zu Herzen: Sie sorgten für Besinnlichkeit, beseitigten Ärger und Streit und erfüllten die Herzenswünsche ihrer Liebsten.